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Folge 19: Welche Rolle spielt die Psyche beim Rauchstopp?

Andy und Prof. Mühlig beim Podcast-Interview
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In dieser Podcast-Folge geht es um die spannende Frage, welche Rolle die Psyche beim Rauchausstieg spielt. Dafür haben wir einen absoluten Experten für dieses Thema eingeladen – Professor Dr. Stephan Mühlig. Er ist Professor für Klinische Psychologie an der Technischen Universität Chemnitz, wo er u.a. die Raucherambulanz leitet. Das Thema Tabakentwöhnung kennt er nicht nur aus seiner Forschung, sondern auch aus persönlicher Erfahrung. Er war selbst 30 Jahre lang abhängiger Raucher. Sein Plädoyer ist ganz klar: Jeder kann es schaffen, mit dem Rauchen aufzuhören!

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Zusammenfassung

Über 80 % der Raucher möchte grundsätzlich mit dem Rauchen aufhören. Die Gesundheitsrisiken die das Rauchen mit sich bringt sind flächendeckend bekannt. Die Verdrängung dieser Gefahren, ständige Ausreden und Aufschieberei, das Warten auf den perfekten Augenblick und Angst vor Entzugserscheinungen sind große psychologische Hürden die Raucher überwinden müssen um endlich rauchfrei zu werden.

Eine sorgfältige Planung des Rauchstopps kann psychischen Druck mindern

Der starke Wille und der dringliche Wunsch aufzuhören ist ein großer psychischer Faktor, wenn es darum geht mit dem Rauchen aufzuhören. Aber das reicht noch nicht um, langfristig Nichtraucher zu bleiben. Denn mit dem Rauchen aufzuhören ist nicht schwer. Die wahre Herausforderung ist es, auch rauchfrei zu  bleiben. Ehemalige Raucher haben eine hohe Rückfälligkeit. Ein maßgeblicher Faktor, der darüber bestimmt ob ein Ex-Raucher auch rauchfrei bleibt, ist ebenfalls psychischer Natur. Die Fähigkeit der Selbststeuerung und der Umgang  mit Rauchimpulsen und Verführungssituationen prädestinieren einen erfolgreichen Rauchausstieg. Eine sorgfältige Planung des Rauchstopps und die Entwicklung von Strategien erhöhen die Erfolgschancen also maßgeblich.

Mit professioneller Hilfe rechtzeitig den Rauchausstieg wagen

Einige kritische Stimmen behaupten, professionelle Rauchentwöhnung und dessen Bezuschussung sei nicht notwendig, da die meisten Ex-Raucher auf eigene Faust und aus eigenen Willen heraus aufhören. Prinzipiell stimmt das auch. Das Problem besteht darin, dass diesen Erfolgen meist viele gescheiterte Aufhörversuche vorangingen und der Rauchstopp so, in vielen Fällen, viel zu spät kommt. Epidemiologische Daten und Metaanalysen zeigen, dass 96% der Rauchstopp-Versuche langfristig erfolglos bleiben. Häufig braucht es Jahren oder Jahrzehnte voller gescheiteter Versuche bis die Raucher endgültig Nichtraucher werden. Für viele Personen kommt dieser Durchbruch leider zu spät, da sie zu dem Zeitpunkt schon gravierende, unwiderrufliche Folgeschäden, wie Lungenkrebs oder COPD davontragen müssen. Es reicht nicht darauf zu warten, dass 60-jährige Raucher mit einer 40-jährigen Rauchhistorie es endlich schaffen. Durch professionelle Rauchentwöhnung können sich die Erfolgschancen maßgeblich verbessern und somit der Aufhörprozess um einige Jahre bis Jahrzehnte verkürzt und Folgeschäden minimiert werden.

Eine umfangreiche Unterstützung durch das Gesundheitssystem erhöht die Erfolgschancen

In einem groß angelegten AOK Modellprojekt, sollte der Erfolg einer allumfassenden Tabakentwöhnung im Vergleich zur bisherigen „Standardbehandlung“ untersucht werden. Über 1000 Teilnehmer wurden für dieses Projekt über eine längere Zeit begleitet.  Die Teilnehmer waren rauchende Patienten, bei denen die Raucherkrankheit COPD oder das Vorstadium, also eine Art Raucherhusten, diagnostiziert wurde. Die Hälfte der Patienten erhielt eine umfangreiche, voll finanzierte Rauchentwöhnung, bestehend aus einem systematischen  Tabakentwöhnungsprogramm, einer medikamentösen Behandlung und gegebenenfalls einer Psychotherapie. Die andere Hälfte der Patienten erhielt die „Standardbehandlung“: Ihnen wurde dazu geraten mit dem Rauchen aufzuhören und eine Tabakentwöhnung wurde empfohlen, ohne dass diese oder andere Maßnahmen von der Krankenkasse finanziert wurden.
Im Laufe der Monate zeigten sich starke Unterschiede zwischen den Gruppen. Während bei der Vergleichsgruppe mit der „Standardbehandlung“ nach 12 Monaten lediglich 8%  der Teilnehmer rauchfrei waren, konnte die Gruppe mit der umfangreichen Therapie eine 12- monatige Erfolgsquote von 40% verbuchen. Ein dramatischer Unterschied, welcher die Effektivität einer systematischen Tabakentwöhnung betont und die Wichtigkeiten einer ausreichenden Bezuschussung durch die Krankenkassen verdeutlicht. Denn zurzeit wird eine Finanzierung der Tabakentwöhnung nur beschränkt angeboten und der Finanzierungsumfang ist bei weitem nicht ausreichend um eine umfangreiche und fair bezahlte Tabakentwöhnung zu ermöglichen.

Durch eine Vollfinanzierung der Tabakentwöhnung Millionen an Folgekosten einsparen?

Große Metaanalysen zeigen, dass durch eine volle Bezahlung durch Krankenkassen  doppelt so viele Patienten erreicht werden können als durch eine Teilerstattung oder durch Eigenfinanzierung. Und nicht nur das. Auch die Abstinenzquote steigt bei einer vollen Bezahlung um 44% gegenüber einer Teilerstattung oder Eigenfinanzierung. Eine volle Finanzierung der Tabakentwöhnung als Heilbehandlung wäre also nach aktuellem Stand der Wissenschaft höchst sinnvoll. Auch für die Kassen könnte diese Vollfinanzierung durchaus sinnvoll sein. Es könnten Millionen an Folgekosten eingespart werden, wenn durch eine Tabakentwöhnung die Krankheit frühzeitig gestoppt würde, insbesondere bei der COPD, eine der teuersten chronischen Erkrankungen überhaupt.
Der Forderung, dass Tabakentwöhnung eine Kassenleistung werden soll, wird aktuell von einer Klageinitiative juristisch nachgegangen. Eine befürchtete Kostenexplosion wird es laut Analysen nicht geben. Es kann sogar mit einer Kosteneinsparung gerechnet werden.

Körperliche vs. psychische Abhängigkeit

Nicht jeder Raucher entwickelt ein körperliches Abhängigkeitssyndrom. Nur etwa 40-50% der Raucher entwickeln dieses. Darüber hinaus gibt es die psychische Abhängigkeit. Diese entsteht anders als die körperliche Sucht und auch unabhängig von dieser. Sie entsteht als konditionierte Reiz- Reaktions-Verbindung. Auch diese kann aber ebenfalls schwer aufzubrechen sein. Der körperliche Entzug dauert nicht lange. Bereits nach spätestens einer Woche nehmen die Symptome stark ab. Nach spätestens vier Wochen ist der körperliche Entzug komplett durchlaufen. Starke Entzugssymptome können auf ärztliche Anweisung durch Medikamente gelindert werde, um die erste Zeit besser zu überstehen.
Das größere Problem beim Rauchstopp liegt aber eindeutig auf der psychischen Seite. Diese psychische Abhängigkeit ist auch die Erklärung dafür wieso einige Raucher auch nach Jahren oder Jahrzehnten der Abstinenz immer noch rückfällig werden können, da sich das etablierte Suchtgedächtinis nicht komplett löschen lässt und somit nach langer Zeit immer noch eine Gefahr darstellen kann. Die Psyche ist beim Aufhören also das A&O. Man muss sich zunächst klar entscheiden und nach dem Rauchstopp auch rauchfrei bleiben.
Auch psychische Störungen spielen beim Rauchen bzw. Nichtrauchen eine Rolle. Statistisch gesehen hat etwa jeder 3. Deutsche eine psychische Störung. Personen mit einer psychischen Störung rauchen besonders häufig. Unter Personen mit einer Depression liegt die Raucherquote bei 60 %. Verglichen mit 30% in der Allgemeinbevölkerung. Bei schweren psychischen Erkrankungen ist die Raucherquote sogar noch höher: über 80%. Diese Rauchergruppe ist besonders schwierig. Sie ist besonders gesundheitsgefährdet, raucht besonders viel, ist besonders abhängig und sie ist besonders schwer von einer Tabakentwöhnung zu überzeugen. Die Psyche ist bezüglich der Einstellung und der Abstinenz also ein ganz wichtiger Faktor.
Kognitive Verhaltenstherapie versucht an diesen Punkten einzuhaken: Eine positive Einstellung, der Glaube an sich selbst, Strategien und Umgang mit Krisensituationen und Stress stehen hier im Mittelpunkt. All das sind zentrale Aspekte wenn es darum geht langfristig einer Sucht zu entsagen.

Jeder kann Nichtraucher werden

Somit ist Nichtraucher werden immer auch Sache der Psyche und der Erfolg ist immer abhängig von der psychischen Einstellung. Letztendlich kann es aber jeder schaffen. Auch schizophrene oder stak psychisch belastete Patienten können rauchfrei werden. Auch bei Suchtbehandlungen in Psychiatrien können bei richtiger Suchttherapie vergleichbare Abstinenzquoten wie in der Allgemeinbevölkerung erzielt werden.
Jeder kann Nichtraucher werden. Wichtig ist es die Art und Schwere der Sucht zu beachten um die Art der Therapie daran abzustimmen. Körperlich nicht abhängige Raucher mit einer moderaten Sucht können durchaus aus eigenen Antrieb, mit Hilfe von Selbsthilfe-Rategeben oder durch ein Online Programm rauchfrei werden. Nicht jeder Raucher muss in eine professionelle Beratung. Spätestens nach dem 4. oder 5. gescheiterten Versuch sollten Raucher jedoch die Hilfe einer Therapie oder eines Nichtraucherkurses in Anspruch nehmen. Denn zu viele Misserfolge können dazu führen, dass abhängige Raucher den Rauchstopp komplett aufgeben.

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